Ein Gedicht von König Ludwig I von Bayern über den
Untersberg.
Sehet die ganz eigenen Gestalten,
die des Untersberges Umriß zeigt,
und ihr fühlet ein unheimliches Walten
bay dem Anblick, dem kein and'rer gleicht.
Seit ihr hingestiegen um zu lauschen
an des wunderbaren Berges Mund,
höret ihr es furchtbar unten rauschen
in dem finstern enermeßnen Schlund.
Diese hohen Marmorfelswände,
schimmmernd in des Farbenglanzes Pracht
brachten manchem schon ein frühes Ende,
stürzend in den Schoß der ew'gen Nacht.
Mannigfaltig sind die vielen Sagen
seiner inneren, seiner äußern Welt,
die aus tiefer Vorzeit zu uns ragen,
uns ein Grauen immerhin befällt.
Schätze sind in dieses Berges klüften,
öfters haben Wanderer sie gesehen,
nicht zu holen sind sie aus den Grüften,
selbst die Hoffnung muss darnach vergehen.
Züge kleiner Männer nächtlich ziehen,
nach dem Kirchlein hin von Unterstein.
Wehe denen, die nicht eilig fliehen!
Denn sie müssen mit in ihre Reih`n,
müssen mit, und niemals losgelassen
werden sie, noch keiner wiederkam,
unverzüglich müssen sie erblassen,
die der Untersberger Zug entnahm.
Kaiser Karl der Große muß verweilen
in des zaubervollen Berges Schloß,
wie vorher Jahrhunderte auch eilen,
bleibt Erstarrung doch sein altes Loos.
Bis einst um die große Tafelrunde,
dreymal sich gewunden hat sein Bart,
dann erst schlägt ihm die Erlößungsstunde,
wie dem Heere, daß um ihn geschaart.
Und es öffnen sich die Marmorwände,
mit dem Heere auf das Walserfeld,
zieht der Kaiser, und dann ist das Ende
auch zugleich gekommen dieser Welt.
König Ludwig I , aus dem Geschlecht der Wittelsbacher, geb. 25.08.1786 in Straßburg, gest. 29.02.1868 in Nizza.
König des Königreich Bayern von 1825-1845